Der perfekte TripProvence

Man glaubt es kaum, aber auch eine so begehrte Region wie Südfrankreich hat verschwiegene Ecken: Strände ohne Sonnenschirme, Sumpf-Landschaften mit kernigen Cowboys, unberührte Gebirgszüge und ein Künstlerviertel in Marseille, das gerade erst so richtig aufblüht.

Les Calanques

Schwindelerregende Klippen und mediterrane Fjorde – Bienvenue!

"Mag-ni-fique!“ Nicht dass er ihm optisch ähneln würde, aber wie André Bernard beim Wandern wild mit den Armen rudert und enthusi­a­stisch vor sich hin murmelt, erinnert er ein bisschen an den französischen Komiker Louis de Funès. Es ist die Landschaft, die den Kletterer und Wanderführer so in Begeisterung versetzt, genauer: Les Calanques, auf Deutsch „die Felsbuchten“. Zwischen Marseille und Cassis liegt der etwa 20 Kilometer lange Streifen mit steilen Kalkklippen und türkisfarbenen Küsteneinschnitten.
„Jede Bucht hat ihren eigenen Charakter. Manche sind ruhig, andere wild. Wie die Menschen auch“, philosophiert André, während er über steinige Pfade zu einem winzigen Sandstrand hinabsteigt. 24 Calanques gibt es insgesamt. Nach Port-Pin, eine der östlichsten, pilgern die Städter aus Cassis am Wochenende zum Sonnen und Baden; die Marseiller nutzen die im Westen gelegenen Calanques de Callelongue, de la Mounine oder de Marseilleveyre als Naherholungs­-­Planschbecken.

In den Ohren den Ruf eines Kuckucks, in der Nase den durchdringenden Duft von Rosmarin, geht es weiter durch den Kiefernwald. Hier und da leuchten gelbe Stroh- und violette Kugel­blumen. „Auf den Hauptwanderwegen begegnen einem viele Ausflügler, aber abseits der Strecke ist man allein mit der Natur“, sagt Bernard. Der Guide führt oft Gruppen zu den ent­legensten Buchten, die man nur über Klettersteige oder per Boot erreicht. So wie die Calanque d’En Vau. Smaragdgrüne Wellen laufen auf einen einsamen Kiesstrand auf. „Ein Sprichwort sagt: Les Calanques se meritent“, erklärt André, „was heißt, dass man sich ihre Schönheit erst verdienen muss.“ Und setzt sicherheitshalber ein kleines „magnifique“ dahinter.

Wem die Kraxelei zu anstrengend ist, der steigt auf ein kleines Boot um. Eines wie das von Bernards Freund Frédéric, der seine Nussschale gerade um die Klippen navigiert und dabei einen Kormoran aufscheucht. Während Frédéric an Port-Pin und d’En Vau vorbeibraust, blinzelt er hinauf zu dem 450 Meter hohen Vorsprung, der unter Profi-Kletterern als La Grande Candelle bekannt ist. „Die Landschaft hier ist irre ursprünglich und trotzdem nah an Marseille“, sagt er fast staunend und deutet auf eine dreieckige Öffnung im Stein. Eine Höhle? Nein, die Felsen sind nach oben hin offen – Sonnenlicht strahlt ins Innere. „Wir nennen es die ,Kathedrale‘. Wenn die See ruhig ist, kann man hier sogar schwimmen und dabei in den Himmel schauen.“ Was soll man sagen? Einfach magnifique!

Les Dentelles de Montmirail

Bizarre Kalksteinfelsen und erstklassiger Wein

"Vent violent“ (heftiger Wind) warnt ein Schild. Hier kennt ihn jeder: den eiskalten, trockenen Mistral, der Regenwolken vertreibt, für Fernsicht und sternenklare Nächte sorgt. Tagelang bläst er mit bis zu 135 Stundenkilometern und sorgt für Temperaturstürze von bis zu 15 °C in wenigen Stunden. Kaum verwunderlich, dass er schon so manchen Einheimischen in den Wahnsinn getrieben haben und vor Gericht sogar strafmindernd wirken soll. Auch in der Landschaft hinterlässt er Spuren. Ein Großteil der Bäume im Rhône-Tal neigt sich in Windrichtung nach Süden. „Der Mistral ist ein guter Luftentfeuchter, der die Rebstöcke vor Frost und Krankheiten bewahrt“, nimmt ihn Kate McKinlay in Schutz. Sie sitzt vor ihrem „Mas“, einer Art Landhaus auf dem familiengeführten Weingut „Domaine de Mourchon“. „Und er verändert das Licht. Nach sechs bis neun Tagen Mistral sieht alles aus wie poliert.“

Das Anwesen wird eingerahmt von den zahnförmigen Dentelles de Montmirail, einem acht Kilometer langen Gebirgsmassiv. Und als wäre das nicht schon dramatisch genug, ragt düster die Silhouette des Mont Ventoux, des „Riesen der Provence“ heraus. Zu seinen Füßen ein Weinfeld neben dem anderen, darunter auch die Rebstöcke der McKinlays. Auf dem akkurat getrimmten Rasen davor jagt Hündin Bella gerade einen Schmetterling. Kate und ihre Familie stammen ursprünglich aus London. Der Umzug in die Provence verlief nicht ohne Stolpersteine. „Als wir vor 14 Jahren hierherkamen, wussten wir so gut wie nichts über die Weinproduktion“, erzählt die 48-Jährige und öffnet einen Rosé aus Grenache- und Syrahtrauben. „Unsere Nachbarn, seit zig Generationen Weinbauern, haben uns wie Aliens beäugt.“ Sie lacht. „Mittlerweile sind wir Freunde. Wir haben sie wohl überzeugt.“

Séguret, die mittelalterliche Stadt, nach der das lokale Anbaugebiet benannt ist, liegt nur einen Steinwurf entfernt. Die Nachmittagssonne taucht die Burgruine und die Reste der Stadtmauer in goldenes Licht. Gassen aus Kopfsteinpflaster winden sich um den sandfarbenen Glockenturm aus dem 14. Jahrhundert. Die Glocke selbst baumelt in einer Turmspitze aus Schmiedeeisen, was ihr viele verzückte Touristen garantiert. Rund um den Ort herrscht ländliche Idylle: Kleine Trak­toren tuckern emsig hin und her, Arbeiter pflücken die Trauben von Hand. „Des­wegen kommen die Leute hierher“, sagt Madame McKinlay. „Andere Orte der Region wurden zu reinen Arbeitsstädten, aber bei uns bleibt­’s beschaulich.“

Abends kommen die ersten Gäste zur Verkostung. Kate McKinlays Vater Walter steht hinter dem Tresen und preist sein handgemachtes Olivenöl an. Einst als „Ballon de rouge“, schnöder Tafelwein, verhöhnt, steigen die Weine, die im Rhône-­Tal gekeltert werden, immer mehr im Ansehen. „Am Anfang hat mich der provenzalische  Müßiggang gestört“, er­innert sich Kate. „Denn was Wein angeht, sind die Franzosen eisern: Qualität geht über Quantität. Im Laufe der Jahre habe ich aber schätzen gelernt, dass das hier auch für den Alltag gilt. Großartig.“

Text: Duncan Craig, deutsche Bearbeitung: Alina Halbe, Titelbild: Matt Munro

Die vollständige Reportage zum perfekten Trip durch die Provence in Frankreich finden Sie in der März-Ausgabe des Lonely Planet Traveller.

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Das Wichtigste

Hinkommen

Der Flughafen Marseille liegt etwa 20 Kilometer nordwestlich der Stadt. Ab Wien fliegt Luft­hansa über Frankfurt a. M. und ab München nonstop dorthin (lufthansa.com). Von Zürich geht es mit Air France via Paris in die Hafenstadt (airfrance.de). Wer lieber Bahn fährt, nutzt den ultraschnellen TGV, der von der Schweiz aus etwa sieben Stunden bis Marseille braucht (sbb.ch).

Herumkommen

Um in der Provence von A nach B zu kommen, ist ein Auto unverzichtbar. Am Flughafen Marseille sind alle großen Mietwagen-Anbieter vertreten, etwa Sixt, Hertz oder Europcar. Halten Sie  Kleingeld oder die Kreditkarte für die Maut (péage) auf den Autobahnen bereit. Größere Städte wie Arles oder Avignon haben gute Bus- und Bahnnetze.

Klima

Dank des mediterranen Klimas lässt die Provence sich das ganze Jahr über bereisen. Allerdings wird es ab Juli heiß und trocken, die Unterkünfte sind dann teuer oder ausgebucht. Die beste Reisezeit ist von März bis Juni: Bei Temperaturen um die 25 °C ist es angenehm warm, die Pflanzen blühen und an der Küste ist es noch ruhig.

Weiterlesen

Im Lonely-Planet-Reiseführer „Provence, Cote d´Azur“ (Lonely Planet, 12,99 €) findet man hier Tipps zu nahezu jedem noch so kleinen Ort der Gegend.

Unterwegs

  • Naschen Navettes, eine Keks-Spezialität aus Marseille, schmecken nach Orangenblüten. Ihre längliche Form soll an das Boot erinnern, mit dem die Heilige Maria Magdalena in der Provence ankam. 
  • Trinken Das malzige, goldfarbene Marseiller Pilsner heißt La Cagole. Beim Bestellen ist Vorsicht geboten: „Cagole“ ist auch ein abwertender Begriff für ein junges Mädchen, das leicht zu haben ist. 
  • Spielen Beim Pétanque versucht man aus dem Stand, Metallbälle so nah wie möglich an eine kleine Holzkugel zu werfen. Der Name leitet sich vom okzitanischen Ausdruck „les ped tanco“ ab, was geschlossene Füße heißt.
  • Kaufen Die provenzalischen Krippenfiguren namens Santon sind handgemacht und üblicherweise aus  Terrakotta oder Ton.  Meist stellen sie Charaktere des Landlebens dar, wie einen Arzt, Briefträger oder einen Schäfer (s. r.).
  • Probieren Die Bouillabaisse bestand ursprünglich aus dem Fangüberschuss der Fischer. Für eine gute Fischsuppe muss man etwa 50  pro Kopf rechnen. Dafür landen mindestens sieben Fischsorten im Topf. Bei „Chez Gilbert“ in Cassis schmeckt sie köstlich. chezgilbert.net

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