JordanienDas Atlantis der Wüste

© Mark Read

Vor 200 Jahren wurde Jordaniens antike Felsenstadt Petra wiederentdeckt. Heute ist sie Weltkulturerbe und eines der neuen sieben Weltwunder. Noch immer ist sie weitgehend unerforscht – ein steinernes Mysterium …

Gänsehaut breitet sich aus, sobald man den ersten Schritt in die tiefe Schlucht getan hat, die vor einem liegt. Nicht nur, weil ihre Wände sich über 70 Meter in den wolkenlosen Wüstenhimmel türmen und somit kühlen Schatten spenden. Es ist eine Mischung aus Ehrfurcht und Beklemmung, die der Siq (dt.: Schacht) auslöst. Über 1,2 Kilometer ist er lang und an seiner schmalsten Stelle gerade mal zwei Meter breit. Ein dunkler Tunnel mitten durch das jordanische Bergland von Edom. Und der einzige Zugang zur sagenumwobenen Felsenstadt Petra.

Wer gut zu Fuß ist, sollte den etwa 30-minütigen Marsch unbedingt auf sich nehmen. Zwar gibt es Pferdekutschen, die Besucher recht flott und bequem durch die Schlucht transportieren. Aber so schnell will man eigentlich gar nicht hindurchkommen. Zu beeindruckend ist der Spaziergang. Zu überwältigend das Gefühl, wenn der Siq den dramatischen Blick auf Petra freigibt: Als erstes sieht man eine rund 40 Meter hohe und 30 Meter breite Fassade, die aus der rosafarbenen Gesteinswand geschlagen wurde – Al Khazneh, das „Schatzhaus“, das gar keines war.

In der Urne, die das Monument krönt, wurden lange Zeit Reich­tümer vermutet, was ihm den Namen gab. Tatsächlich ist sie aus massivem Stein, der Monolith in Wahrheit eine Grabkammer. Ver­mutlich die des Nabatäer­königs Aretas IV., der etwa von 9 v. bis 40 n. Chr. regierte. Bereits um 500 v. Chr. besiedelten die Nabatäer, ein ursprünglich räuberisches Nomadenvolk aus Arabien, den ausgetrockneten Bergkessel. Der wurde, dank seiner strategisch günstigen Lage am Kreuzpunkt mehrerer Handelswege, die China, Indien und den Süden Arabiens mit Ägypten, Syrien, Griechenland und Rom verbanden, schnell einer der bedeutendsten Handelsplätze im Mitt­leren Osten. Die Nabatäer kontrollierten die Wege, verlangten Zoll und lagerten gegen Gebühren Luxusgüter wie Seide und Gewürze ein. Es dauerte nicht lange, bis die Stadt zu einem florierenden Imperium mit immer monumentaleren Bauten heranwuchs.

Das „Schatzhaus“ Al-Khazneh ist nämlich nur eines von vielen architektonischen Wunder­werken, die vom Reichtum des Wüstenvolkes berichten. Geht man an ihm vorbei, gelangt man in die prächtige Fassadenstraße, die von Hunderten Grabmalen, die über- und nebeneinander in den Fels gehauen wurden, gesäumt wird. Gleich nebenan erhebt sich das riesige Theater aus dem steinigen Boden. Fünf- bis zehntausend Menschen fanden hier einst Platz. Von den hintersten Sitzreihen aus bekam man vom Geschehen in der Arena zwar nicht besonders viel mit, dafür hatte man aber einen fantastischen Blick über das gesamte Tal.

Hier und da entdeckt man heute unvollendete Bauwerke, die vom Niedergang der Stadt zeugen. 106 n. Chr. fiel sie unter römische Herrschaft, die aber keinerlei Interesse an der Stadt hatte. Statt­dessen baute sie einfach neue Handelsrouten um sie herum. Plötzlich war Petra isoliert vom Weltmarkt, der Geldfluss versiegte, die Monu­mente bröckelten. Als schließlich 551 n. Chr. ein schweres Erdbeben die Stadt dem Erdboden gleich­machte, wanderten die Nabatäer aus.

Die Ruinen wurden im Laufe der nächsten Jahrhunderte mal von Kreuzfahrern, später von Beduinen bewohnt. Petra geriet fast vollkommen in Vergessenheit. Nur wenige europäische Gelehrte kannten die Legende um die sagenhafte, in den Fels gemeißelte Stadt.

Der Schweizer Orientreisende Jean Louis Burckhardt war es, der sich schließlich auf den Weg machte, das Atlantis der Wüste zu entdecken. Was ihm 1812 auch gelang. Trotzdem dauerte es noch über hundert Jahre, bis 1929 Ausgrabungen vorgenommen wurden. Seitdem wurden über 600 Gräber entdeckt. Aber so gut wie keine Häuser. „Bis in die 70er-Jahre glaubte man deshalb, Petra sei eine Stadt für die Toten gewesen und die Leute hätten woanders gewohnt“, sagt Prof. Dr. Stephan Schmid, 46, Archäologe von der Berliner Humboldt-Universität. Seit 1999 leitet er als Gründer und Direktor des „International Wadi Farasa Project“ die Ausgrabungen in Petra. Alles Unsinn, wie jüngste Funde beweisen: Die Wüstenstadt war eine Oase mit bewässerten Gärten, Brunnen und Kameltränken. Die seltenen, aber heftigen Regenfälle nutzten die Nabatäer mit einem genialen Bewässerungssystem: Überall waren Hunderte Zisternen und Wasserbecken in den Fels geschlagen, die mehrere hunderttausend Liter halten konnten. Kilometerlange Aquädukte leiteten das kostbare Nass in die Speicher und von dort zu den Bewohnern. Die lebten zwischen den Tempeln und Gräbern in luxuriösen Privathäusern. Doch anders als die Totenhäuser waren sie nicht für die Ewigkeit in Stein gemeißelt: Sie standen ungeschützt im Tal und wurden vom Erdbeben zerstört. 

Besonders deutlich wird das im Zentrum Petras. Geht man am Theater die Fassadenstraße weiter entlang, gelangt man zur Königswand: Das sind 13 monumentale, in den Fels geschlagene und deshalb fast vollständig erhaltene Grabtempel, etwa das „Palastgrab“ und das „Korinthische Grab“. Aufgrund ihrer Größe und prächtigen Ausschmückung werden sie als Königsgräber gedeutet. Ob sie es wirklich sind, ist nicht bekannt. Ein paar Meter weiter aber dreht die Straße in Richtung Westen ab und geht in die Kolonnadenstraße, die Hauptverkehrsader der Stadt, über. Hier hat so gut wie nichts die Gewalt der Natur überstanden: Lediglich riesige Felstrümmer und Säulen­fragmente links und rechts des Weges zeugen von den Einkaufspassagen, Märkten und Wohnhäusern, die hier einst standen.

Hoch über all dem, auf dem Umm al-Bijara (Mutter der Zisternen), dem höchsten Berg der Stadt, thront ein rund 2000 Jahre alter Palast. „Mit großer Wahrscheinlichkeit war das die Residenz der nabatäischen Könige“, erklärt Stephan Schmid. Der Archäologe hat dort gerade mit seinem Forscherteam eine Wellness-Oase zu Tage gefördert, die so manch heutigen Luxus-Spa in den Schatten stellen könnte. „Stellen Sie sich vor, welchen Eindruck das auf Fremde gemacht haben muss“, sagt Schmid. „Da kommt man völlig außer Atem vom Aufstieg oben an, und der König liegt in der Wanne.“ Besser gesagt: In einer der vielen Wannen der weitläufigen Badelandschaft, wie man es heute wohl nennen würde. Manche waren nur für eine Person gedacht. Andere hin­gegen glichen riesigen Whirlpools mit genügend Platz für gesellige Bade­orgien. Der geflieste Boden und selbst die Wände waren beheizt – ein ungeheurer Aufwand, wenn man bedenkt, dass der Wüsten-Spa mehrere Tausend Quadratmeter groß war und in über 300 Meter Höhe lag. „Jeder Zweig, der für die Heizung verbrannt wurde, musste vorher auf den Berg getragen werden“, so Schmid.

Zurück im Tal führt ein mindestens genauso mühsamer Weg zum größten Monument Petras. Am Ende der Kolonnadenstraße gelangt man über eine riesige Steintreppe mit 788 Stufen nach rund einstündiger Wanderung zum 50 Meter breiten und 39 Meter hohen Ed-Deir, dem „Kloster“, das, wie schon das „Schatzhaus“, gar keins war. 2004 wurden zwei verschüttete Steinbänke entlang der Saalwände entdeckt, die vermuten lassen, dass Ed-Deir das Mausoleum eines Herrschers war und hier Totenfeiern abgehalten wurden. Eine Inschrift legt einen Bezug zum nabatäischen König Obodas I. nahe, der etwa von 96 bis 85 v. Chr. regierte. Es wird vermutet, dass Christen im 4. Jahrhundert n. Chr. das verlassene Petra vorübergehend besiedelten und das Grab als Kloster nutzten, was ihm den Namen gab.

Ed-Deir ist ein Muss für Petra-Besucher. Wer den recht beschwerlichen Weg nicht auf sich nehmen mag, für den stehen Esel und Kamele parat. Und es gibt Guides, die durch die Felsenstadt führen. Laith Odah, ein hübscher junger Mann mit dunkel umrandeten, bernsteinfarbenen Augen, ist einer von ihnen. Er bietet Touristen seine Dienste und sein Wissen um Petra an – wenn auch momentan ohne Lasttier. Sein Esel Casanova ist gerade gestorben.

„Er war stark, konnte vier Leute auf einmal tragen“, sagt Laith traurig. „Aber er wurde krank. Ich habe ihn tagelang gepflegt, habe versucht, ihn mit Kamelmilch aufzupäppeln, aber es half nicht.“ Ein neuer Esel kostet 200 bis 400 Euro. Viel für einen Beduinen. Aber davon will er sich nicht abschrecken lassen. „Meine Familie ist auf das Geld, das ich als Touristenführer verdiene, angewiesen.“ Vor 27 Jahren wurde Laith Odah als einer der letzten Beduinen, die die Stadt bewohnten, in einer Felsenhöhle geboren. Dort wuchs er mit seinen zehn Geschwistern auf, bis sein Zuhause 1985 in die Liste des UNESCO-Welterbes auf­genommen wurde und die jordanische Regierung seine Familie vertrieb.

„Es war zwar toll, in Petra aufzuwachsen“, sagt Laith, „aber es tut mir nicht leid, dass wir umziehen mussten. Das Leben in einer Höhle ist hart.“ Heute wohnt er mit seiner Familie in Wadi Musa, dem nächstgelegenen Ort, dessen Name auch die ganze Umgebung Petras bezeichnet: Mosestal. Trotzdem verbringt Laith nach wie vor jeden Tag in der Felsenstadt, um Geld hereinzubekommen.

Dass es sein Zuhause irgendwann nicht mehr geben wird, kann er sich nicht vorstellen. Doch der Sandstein, aus dem die Monumente bestehen, verwittert schnell. Die vielen Leitungen, die das Wasser einst davon abhielten, unkontrolliert in die Gebäude zu laufen und die Fassaden abzutragen, sind jahrhundertelang nicht instand gehalten worden. „Für den Sandstein ist das eine Katastrophe“, erklärt Archäologe Stephan Schmid. „Zwar gab es Versuche, die Gebäude zu retten, zum Beispiel mit chemischen Behandlungen, aber keiner war erfolgreich.“ Die Felsenstadt wird nach und nach von der Natur zurückerobert. Ein Grund mehr, ihr einen Besuch abzustatten.

 

Text: Stefanie Lettow, Mitarbeit: Orla Thomas

Das Wichtigste

Hinkommen:

Ab Frankfurt nonstop mit Lufthansa (lufthansa.com) oder Royal Jordanian (rj.com). Ab Zürich nonstop mit Royal Jordanian oder mit Lufthansa via Frankfurt. Ab Wien nonstop mit Royal Jordanian oder mit Lufthansa via Frankfurt.

Weiterreise:

Von Amman ist es eine etwa dreistündige Fahrt nach Petra. Busse starten täglich um 6:30 Uhr an der Abdali-Busstation im Herzen der Stadt (ca. 10,30 €, jett.com.jo).

Buch- und DVD- Tipps:

„Lonely Planet Jordanien“ (MairDumont, ca. 22,99 €). „Petra. Wunder in der Wüste“ (Schwabe, ca. 35,50 €). Weitere Informationen gibt's unter: visitjordan.com

Wüstenabenteuer

Hauptstadt Amman

Bevor man ins südlich gelegene Petra reist, bietet sich eine Tour durch die Hauptstadt Amman an. In der Rainbow Street gibt es tolle Restaurants und hübsche Boutiquen. Zum Übernachten empfiehlt sich das Vier-Sterne-Hotel „AlQasr Metropole“ im In-Viertel Shmeisani (DZ ab ca. 95 €, alqasrmetropole.com).

Essen in Petra

Die Auswahl an Restaurants in Petra ist recht überschaubar. Ein Picknick dabeizuhaben ist also keine schlechte Idee. Das Crowne Plaza Basin Restaurant am Fuß der Treppe zu Ed-Deir bietet für ca. 17 € ein reichhaltiges Mittagsbuffet mit Salaten, Falafel und gegrilltem Fleisch.

Umgebung Petras

Tun Sie es Jean Louis Burckhardt gleich und erkunden Sie auch die Umgebung. Etwas außerhalb Petras liegt das Grabmal des Propheten Aaron auf dem Jebel Nebi Harun (Aaronsberg). Am besten mietet man einen Esel oder ein Kamel (Hin- und Rückritt ab ca. 23 €).

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