Kanadas EisbärenVorsicht, weißer Riese

© Jonathan Gregson
© Jonathan Gregson

Im kanadischen Städtchen Churchill tummeln sich Eisbären wie hierzulande die Karnickel. Touristen aus aller Welt pilgern an die Hudson Bay, um den imposanten Fleischfressern zu begegnen. Ein Unterfangen mit hohem Risiko: Wer unachtsam ist, begibt sich in Gefahr – vor allem jetzt, wenn die hungrigen Raubtiere auf die Jagdsaison für Robben warten.

Die Tage rund um Halloween sind für Bob Windsor die stressigste Zeit des Jahres. Dann kurvt er regelmäßig mit seinem Truck raus zu den Felsklippen, wo die raue See der Hudson Bay ans Ufer rollt. Dort hält er Ausschau nach den weißen Riesen, den Eisbären, die jetzt hier am Meer auf Beutejagd gehen. Ein Patronengürtel hängt über der Kopfstütze von Bobs Sitz. Der Mann hat drei Gewehre und einen Haufen Munition bei sich: Platzpatronen, um die angriffslustigen Raubtiere mithilfe eines lauten Knalls zu verjagen, Plastikgeschosse, die einen schmerzhaften Stich hinterlassen. Und für den Notfall Bleikugeln. Die sind so groß wie Batterien und nur auf kurze Distanz zielgenau, aber sie reichen, um ein Tier von einer halben Tonne Gewicht zu stoppen. Seit sechs Jahren leitet Mister Windsor die Eisbären-Patrouille in Churchill, scharf schießen musste er – toi, toi, toi – erst zwei Mal.

Bob, ein gemütlicher Typ mit Bart, strahlt die Selbstsicherheit eines geborenen Jägers aus. Mit scharfem Blick scannt er seine Umgebung. Plötzlich entdeckt er einen Mann mit orangefarbener Kappe, der sich zwischen zwei Felsen am Strand herumtreibt, keine 50 Meter von dem unmissverständlichen Eisbären-Warnschild. „Total leichtsinnig“, ärgert sich Bob. In den letzten 24 Stunden hat er zwei Pelztiere aus der Stadt gejagt, beide ganz in der Nähe des Inukshuks, eines steinernen Wegweisers, den die Inuit zur Markierung wichtiger Orte und zur Orientierung aufstellen. „Der Mann scheint Bärenfutter werden zu wollen“, grummelt er kopfschüttelnd, um dann trocken hinzuzufügen: „Wenn es ihn erwischt, werden wir wenigstens seine leuchtende Mütze finden.“

Alltag in dem 1000-Seelen-Ort an der Südwestküste der Hudson Bay in Kanadas Provinz Manitoba. Durch das Phänomen der Eisbären ist das Kaff weltberühmt geworden. An keinem anderen Ort kann man so viele der Raubtiere hautnah erleben wie in der selbsternannten „polar bear capital of the world“. Churchills Einwohner und die vielen Besucher vor den Tieren zu schützen ist somit das ganze Jahr über keine leichte Aufgabe. Doch während der Hauptsaison wird sie zur echten Herausforderung. Im Oktober und November tummeln sich 800 bis 900 der Vierbeiner an der Hudson Bay. Sehnsüchtig warten die ausgehungerten Tiere darauf, dass die Bucht zufriert und ihnen den Weg zur Seehundjagd ebnet. Das Süßwasser des Churchill Rivers und Meeresströmungen sorgen dafür, dass sich die Eisbrücke bei Churchill am frühesten bildet. Bis die Schicht stark genug ist, treiben sich die Tiere rund um die Stadt herum.

Besonders heikel ist der 31. Oktober, wenn mehr als 200 Kinder in Halloween-Kostümen durch die Straßen ziehen. „Für diese Nacht mobilisieren wir alle Kräfte“, sagt Bob. 15 Einheiten hat er dann auf Patrouille. Seine Leute werden von Polizisten, Rettungssanitätern und sogar von Angestellten der Stadtwerke unterstützt.

Um kurz nach halb vier kreist ein Helikopter über der Stadt – Eisbäreninspektion von der Luft aus. Wenig später kommt Entwarnung. Daraufhin tauchen die ersten Kinder auf den verschneiten Straßen auf. Die vierjährige Emily ist als Piratin unterwegs, ihre Schwester sinnigerweise als Winnie Puuh. Je dunkler es wird, desto größer der Nervenkitzel. Man weiß schließlich nie, ob sich da draußen neben den kleinen Geistern, Gespenstern und Skeletten nicht auch etwas sehr viel Angsteinflößenderes herumtreibt …

Text: Marcel Theroux, Deutsche Bearbeitung: Bernhard Krieger, Fotos: Jonathan Gregson

Wie es weiter geht? Den vollständigen Artikel mit der ganzen Geschichte finden Sie in der November-Ausgabe des Lonely Planet Traveller.

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