KroatienDas große Trüffelabenteuer und andere Geschichten

© Daniel Alford
© Daniel Alford

Eine Reise zu den Wäldern und Feldern von Istrien im nördlichen Kroatien, wo ortsansässige Erzeuger sich für regionale Lebensmittel einsetzen und neues Leben in ihre uralten Dörfer bringen.

 

Auf den Terrassen

Am frühen Morgen ist es still in Oprtalj. Ich schweife allein durch das Wirrwarr seiner Straßen und schlendere über Terrassen, die mit Zuckermais, Brombeeren, Tomaten und Weinreben bepflanzt sind. Nebel gleitet schleichend über die umliegenden Wälder; von irgendwo ruft eine Zwergohreule und verleitet einen Hund zu einem Bellanfall.

 

Durch geöffnete Fenster beginnt das Gemurmel von Stimmen zu dringen, als sich die Dorfbewohner für den Tag bereit machen. Bei Sonnenaufgang sind sie bereits bei der Feldarbeit, klettern auf Leitern, um Oliven und Äpfel von den Bäumen zu ernten und bewegen sich mit winzigen Traktoren über einspurige Wege.

 

Darunter die Familie Ipša, deren Betrieb eine kurze Autofahrt entfernt vom Plateau liegt, auf dem sich Oprtalj an der Seite eines Hügels befindet. Tief unten erstreckt sich das Mirnatal und auf den Bergkuppen erheben sich Dörfer kegelförmig in den diesigen Himmel. Der noch in Ausbildung befindliche Trüffelsuch-Welpe der Familie springt aufgeregt in seinem Pferch herum und möchte gestreichelt werden. Ich sitze auf einer mit Weinreben umrankten Terrasse und versuche, mich nicht von der Aussicht oder dem Hund ablenken zu lassen, als Irene Ipša ein Tablett mit Olivenölen der Güteklasse „Nativ Extra“ bringt.

 

„Wir haben 1998 angefangen“, sagt Irene, während sie grünes Leccino-Öl in fingerhutgroße Becher gießt. „Vorher ging der Wald fast bis hoch zum Haus. Es sind so viele Leute aus der Gegend weggezogen. Vor fünfzig Jahren gab es hier keine Straßen, keinen Strom und kein Wasser. Aber wir haben uns für das Anbauen und gegen den Wegzug entschieden.“

 

Wir wärmen das Öl in unseren Händen auf, riechen daran und probieren es. Das Öl, hergestellt aus Leccino-Oliven der diesjährigen Ernte, riecht nach frisch gemähtem Gras und hat einen leichten, zarten Geschmack mit einem Hauch von Pfeffer. „Olivenöl ist super. Man arbeitet daran, bis man es presst, und schon hat man am nächsten Tag frisches Öl. Es ist nicht wie beim Wein“, sagt Irene und wendet sich unterdessen einem älteren, honigfarbenen Frantoio-Öl zu. „Die alten Leute hier sagen immer: Ein Olivenbaum ist wie eine Mutter – selbst wenn du ihn vergisst, wirst du immer noch Oliven bekommen. Ein Weingut ist wie eine Ehefrau – wenn man sich nicht gut darum kümmert, bekommt man gar nichts!“

 

Dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass die Herstellung eines Olivenöls, das zu den weltbesten zählt, viel Arbeit bedeutet. Die Familie besitzt derzeit 3500 Hektar, und Irenes Sohn Ivan bietet mir an, mich zu einer Stelle zu bringen, wo die Ernte noch im Gange ist. Das Grundstück liegt eine halbe Autostunde entfernt, über ruhige Wege, die in Kurven durch den dichten Wald führen und an kleinen Ortschaften vorbei, in denen das einzige Lebenszeichen eine umherstreifende Ziege oder ein Huhn ist. Das flache, grasbewachsene Feld liegt weitab von den steilen Terrassen des Gutshofs, mit sauberen Reihen von Olivenbäumen, die sich in beide Richtungen erstrecken.

 

Es ist Zeit für die Mittagspause; die Pflücker sitzen auf umgedrehten Kisten, essen Brot und Käse und suchen an diesem für die Jahreszeit viel zu heißen Tag Schatten unter den Bäumen. „Ich arbeite seit zwölf Jahren mit meinen Eltern, und bis jetzt habe ich noch nie während der Ernte nach Schatten gesucht“, sagt Ivan. „Normalerweise freuen wir uns über ein bisschen Sonne.“

 

Er nimmt eine Stange, an deren Ende sich eine Art Gabel befindet, und schiebt sie hoch in einen der Bäume. Er schaltet den Motor an, und schon entsteht ein Platzregen aus grünen und schwarzen Oliven; die Vibrationen der Gabel schütteln sie in ein weites Netz am Fuß des Baumes. „Hier ist die Arbeit leichter als auf den Terrassen“, sagt Ivan. „Aber es sind immer noch drei Monate Schufterei. Man muss jeden Moment bereit sein zum Ernten. Es ist sehr schwer, diesen Job ohne Liebe zu machen.

 

“Nach dem Ernten werden die Oliven gereinigt und zur Presse in der Stadt Buje gebracht; wenn viel los ist, macht Ivan diese Reise dreimal am Tag. Von dort aus werden die gefüllten Flaschen nach Deutschland, Japan, in die USA und andere Länder geschickt. Doch der Lieblingsort der Ipšas für die Olivenöl-Verkostung ist jene Terrasse in der Nähe von Oprtalj. Dort erfreut man sich zum Hundegebell an der herrlichen Aussicht.

(Tour und Verkostung ca. 11 € oder 19 € mit Essen, ipsa-maslinovaulja.com)

 

Text: Amanda Canning, Fotografie: Daniel Alford

 

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