Natur erlebenSüdafrikas Urlandschaften

Im südafrikanischen Wildreservat Sabi Sands wartet ein Leopardenjunges im Baum auf seine Mutter. (© Jonathan Gregson)

Ob Kapstadt, Kruger-Park oder Karoo: Bei Südafrika hat jeder sofort berauschende Bilder im Kopf. Der nordöstliche Landesteil rund um den Blyde River Canyon ist noch ein echter Geheimtipp. Hier warten Urlandschaften und alte Goldgräberstätten auf Entdecker – und natürlich die berühmten Big Five.

Am Anfang…

Die Landschaft sieht aus wie zu Anbeginn der Welt: eine Szenerie aus zerklüfteten Bergen und Schluchten, zugedeckt von den zahllosen Grüntönen unberührter Natur, umwabert von Nebelfeldern, die etwas Geisterhaftes an sich haben. Mittendrin eine Horde Paviane, die mit ihren großen Eckzähnen angeben. Ich sitze still auf einem Felsblock und warte auf die Sonne, eine volle Stunde lang. Schließlich der große Moment: Die schweren Wolkenformationen reißen auf und enthüllen das urweltliche Terrain in seiner ganzen Schönheit. Vor mir liegen die berühmten Drei Rondavels, „Ron-DA-vels“ ausgesprochen – so benannt, weil sie aussehen wie die gleichnamigen, für Südafrika typischen Rundhäuser. 400 Meter tiefer schlängelt sich der Blyde River durch seinen Canyon, Millionen Jahre alt. Tief im Osten lässt die Sonne die Mpumalanga-Ebene für einige Minuten golden leuchten. Dann verschwinden die Orangen-, Mango- und Avocadoplantagen wieder hinter den nächsten Nebelschwaden.

Der Blyde River Canyon liegt im Nordosten Südafrikas in den letzten Ausläufern der Drakensberge, der „Drachenberge“. Er gilt als eines der größten Naturwunder Afrikas und ist der drittgrößte Canyon der Welt. Die Drei Rondavels bilden den Ausgangspunkt einer etwa 25 Kilometer langen Schlucht. Ihr folgt die Panorama Route, die ihren Namen zu Recht trägt: hohe Wasserfälle, in den Himmel ragende Felszacken, bewaldete Täler mit skurrilen Namen wie Wonder View und God’s Window („Gottesfenster“). Für die schier überwältigenden Aussichten kommen Besucher allerdings erst seit Kurzem in diese Gegend. Bis vor etwa 50 Jahren zog die Region Menschen aus einem ganz anderen Grund an: Gold. Auf deren Spuren will ich mich begeben (s. auch Reiseroute S. 65).

Thomas Bourke, dessen Familie einst aus Irland nach Südafrika ausgewandert ist, war einer der vielen Goldschürfer im 19. Jahrhundert, die mit Pauken und Trompeten scheiterten. Er gab erst auf, nachdem er so ziemlich den halben Blyde River Canyon vergebens umgegraben hatte. Aber wenigstens sein Name sollte fortbestehen: Die bizarr geformten Bourke’s Luck Potholes, ausgewaschene Sandsteinformationen, sind nach ihm benannt. Hier nisten blau schimmernde Glanzstare in geschützten Felsvorsprüngen, während Wanderer in Anoraks Münzen in die Becken werfen, weil das angeblich, Bourkes Fiasko zum Trotz, Glück bringt.

Bourkes Zeitgenossen hatten mehr Erfolg. In den 1850er-Jahren wurden sie fündig und lösten einen Goldrausch aus, der Glücksritter aus aller Welt anlockte. Der Mac-Mac-Wasserfall, 65 Meter hoch, heißt der Legende zufolge deshalb so, weil damals jeder Zweite, der irgendwelche Claims abstecken wollte, aus Schottland kam. Einst hausten dort 1500 Pioniere auf der Suche nach dem schnellen Reichtum. Inzwischen ist die Natur längst in die Schlucht zurückgekehrt. In den Pools wird kein Gold mehr gewaschen, sondern geschwommen.

Goldrausch

Schatzsucher Alec Patterson hatte den Spitznamen „Wheelbarrow“, „Schubkarre“, weil er zu geizig war, Geld für einen Esel auszugeben und seine Ausrüstung lieber selbst mit der Karre transportierte. Patterson war es, der 1873 den Lauf der Geschichte ändern sollte. Der Eigenbrötler verließ Mac Mac und schürfte stattdessen am Lone Peach Tree Creek nach Gold. Dort wurde er bald fündig – bingo! Zwar versuchte er, seinen Fund geheim zu halten, aber vergebens.

Schon nach wenigen Wochen hörte man am Fluss nicht nur das Gurgeln der Stromschnellen, sondern auch Schaufeln, Hacken und das Gegröhle Tausender Goldgräber. Pattersons Fund löste einen Goldrausch aus. Das Camp boomte und wuchs sich zum Städtchen Pilgrim’s Rest („Pilgerruh“) aus, das bald alles hatte, was ein raues Goldgräbernest ausmachte: Geschäfte, Scharlatane, Schurken. Und natürlich Geld – viel Geld, das locker saß. Noch heute erzählen sich die Menschen hier die Geschichte, wie ihr Örtchen vier Tage vor dem großen London, damals die Hauptstadt des Empire, Strom bekam. Erzeugt wurde er mit Wasserkraft in der Nähe von Bourke’s Luck Potholes.

In den 1970er-Jahren waren die Minen erschöpft, und der Ort verfiel in eine Art Dornröschenschlaf. Heute spazieren Meerkatzen, die sich nachts gern über die Mülltonnen hermachen, keck durch die Straßen oder sitzen dösend in den lila Blüten der Jacarandas. Häuser mit Wellblechdächern, die einst Banken, Barber Shops oder Bordelle beherbergten, sind zum Open-Air-Museum geworden. Seit 1986 ist Pilgrim’s Rest offiziell Nationaldenkmal und einen Besuch wert, wenn man eine kleine Zeitreise unternehmen will. In einer alten Werkstatt parken die Postkutschen, die die Siedlung einst mit Johannesburg verbanden.

„Highwayman’s Garage“ steht in dicken Buchstaben auf dem roten Dach der Tankstelle. Im ehemaligen Arzthaus ist noch der Esszimmertisch für den High Tea gedeckt. An der Wand hängen sepiafarbene Familienporträts. An der Garderobe stehen Spazierstock, Regenschirm und eine lederne Arzttasche, so als wäre der Doktor noch immer im Dienst, allzeit bereit für einen Notfall. Glücklicherweise erschöpft sich der Reiz von Pilgrim’s Rest aber nicht in Nostalgie und Erinnerung. Hier leben noch Leute, deren Familien selbst beim Goldrausch mit dabei waren. In der Nähe des alten Friedhofs am Stadtrand treffe ich auf Vinky Robertson, Nachfahre eines Glücksritters. Der Friedhof liegt auf einem Hügel mit Blick auf das stillgelegte Gruben- und Minenareal, das die Natur sich längst zurückerobert und mit dichter Vegetation über zogen hat. Viele der Namen auf den Grabsteinen haben ihren Ursprung in Wales und Cornwall, Denkmäler für jene Einwanderer, die damals der Malaria oder den harten Campbedingungen zum Opfer fielen. Hier ist auch die letzte Ruhestätte eines namenlosen Bankräubers, schlicht „Robber’s Grave“ genannt…

Text: Amanda Canning, Deutsche Bearbeitung: Michael Braun Alexander, Fotos: Jonathan Gregson

Wie die Reise weitergeht, erfährst Du in der September-Ausgabe 2017 des Lonely Planet Traveller.

Ausgabe online bestellen

Zum Magazin-Abo

nach oben