Kulinarischer BoomKopenhagen 2.0

Trine Hahnemann zeigt, wie man Smørrebrød zubereitet. ©Ulf Svane
Trine Hahnemann zeigt, wie man Smørrebrød zubereitet. ©Ulf Svane

Kann ein Restaurant eine ganze Stadt verändern? Nach dem Umzug des weltberühmten „Noma“ ist die kulinarische Szene der dänischen Hauptstadt interessanter denn je!

Am Straßenrand steht eine Gruppe von Kindern. Sie tragen Gummistiefel und warten hinter einer Absperrung, bis sie ein Feld betreten dürfen, das mit Sonnenblumen übersät ist. Auf der einen Seite des Terrains stolziert ein stattlicher Reiher durch einen großen Teich, auf der anderen Seite stehen eine Reihe von Scheunen und Gewächshäusern. Während ich vorbeiradle, kommt es mir auf den ersten Blick wie ein Naturschutzgebiet vor. Aber dann sehe ich ein kleines Schild, das anzeigt, dass sich die Kinder auf dem neuen Gelände von „Noma“ (noma.dk) befinden. Viermal wurde dieser Gourmettempel bereits zum besten Restaurant der Welt gekürt: Innerhalb von 24 Stunden ist diese Lokalität für ein Jahr ausgebucht, und die Gäste geben ohne Zögern rund 300 Euro für ein 20-Gänge-Menü aus.

Als Botschafter der Neuen Nordischen Küche haben Noma und sein charismatischer Koch und Eigentümer René Redzepi das Fouragieren, Fermentieren und Räuchern wiederbelebt und das Kochen mit saisonalen und lokalen Produkten zum Trend in Küchen auf der ganzen Welt gemacht. Aber vielleicht hat Noma selbst den größten Einfluss auf Kopenhagen gehabt. Mit der Eröffnung des Restaurants hat sich die Stadt von einem kulinarischen Hinterzimmer in eine gastronomische Top-Metropole verwandelt (und innerhalb von zehn Jahren wurden rund 10.000 Arbeitsplätze in der Gastronomie geschaffen).

Als „Noma“ im Jahr 2003 eröffnete, war es am Ostufer des Hafens von Kopenhagen relativ weit abgelegen. Der Bezirk glich eher einem Gewirr von Wasserstraßen und Inselchen als einem zusammenhängenden Viertel; traditionell war diese Gegend nicht mit den breiten Boulevards und eleganten Herrenhäusern westlich des Hafens verbunden. Aber als ich in das Viertel kam, schien es völlig verändert zu sein. Heute ist es der Inbegriff des nachhaltigen skandinavischen Lebensstils: Es wimmelt dort nur so von Radfahrern, Kanuten und Fischerbooten, die zu großen Hausbooten umgebaut wurden. Über die seit 2016 bestehende Fußgängerbrücke gelangen die Menschen innerhalb weniger Minuten von der Westseite des Hafens ans andere Ufer.

René Redzepi legte einen weitläufigen Felsgarten an, um zu verhindern, dass Touristen durch die Fenster hineinstarren können, gab sich schließlich aber doch dem Unvermeidbaren hin: Indiesem Jahr zog er an den ländlichen Rand der östlichen Inseln und erfand sich als Noma 2.0 neu. Um mehr über die Metamorphose von Kopenhagen zu erfahren, besuche ich einen Kochkurs bei Trine Hahnemann, einer gefeierten Köchin und Kochbuchautorin. „Ich glaube nicht, dass wir überschätzen können, was René für Kopenhagen bedeutet“, sagt sie. „Bevor Noma eröffnet wurde, gab es nur schicke französische Restaurants für besondere Anlässe oder billige Takeaways. Die Menschen sind nicht so oft zum Essen ausgegangen.“

Trine zeigt mir, wie man Smørrebrød zubereitet: ein traditionell reich belegtes Butterbrot aus Dänemark. Sie steht an der Holzarbeitsplatte von „Hahnemanns Køkken“ (hahnemannskoekken.dk) und schneidet ein Stück Roggenbrot mit schokoladenbrauner Kruste ab. „Hahnemanns Køkken“, Trines Kantine und Kochschule, ist ein ruhiger und gemütlicher Ort.

Wir kommen ins Plaudern, während wir dünne Brotscheiben mit festen jungen Kartoffeln und in Butter gebackenen Zwiebeln belegen. Der Geruch, der einem dabei in die Nase steigt, ist das olfaktorische Äquivalent zur Umarmung von einer Person in einem weichen Wollpullover. Bevor wir unsere Schnitten genießen, klärt mich Trine über die Regeln für den Verzehr der Butterbrote auf. Man isst sie nämlich mit Messer und Gabel, nur ein Barbar nimmt dafür die Hand. Dann gibt sie Empfehlungen für die besten Gerichte der Stadt. „Seit zehn Jahren reisen die Menschen vor allem nach Kopenhagen, um bei Noma am Tisch zu sitzen“, erzählt sie. „Doch wenn sie dann erst einmal hier sind, müssen sie auch an anderen Orten essen.“

In der Küche von René Redzepi haben im Laufe der Jahre hunderte von Köchen gearbeitet. Infolgedessen gibt es in Kopenhagen viele Restaurant, die von den Schützlingen betrieben werden. Dort haben Gäste die Möglichkeit, Noma-beeinflusste und -inspirierte Gerichte auf eine informellere - und erschwinglichere - Weise zu probieren. Der ehemalige Sous-Chef Christian Puglisi hat etwa das „Manfreds“ (manfreds.dk) im Bezirk Nørrebro eröffnet.

In dieser modernen Weinbar mit kahlen Wänden gönne ich mir ein Fünf-Gänge-Menü für 27 Euro. Hier werden typische skandinavische Zutaten auf eine überraschende Weise verwendet: Roggenbrotkrumen, um dem Rindertatar eine knackige Textur zu verleihen, oder Buttermilch für eine besondere Note in der asiatischen Gurkensuppe.

Eines der neuesten Restaurants eines Noma-Absolventen ist „Alouette“ (restaurantalouette.dk) auf den Brygge-Inseln, einem Viertel, das für seine auffällig gestalteten Außenpools bekannt ist. Um Alouette, an der Spitze einer ehemaligen Bleistiftfabrik gelegen, zu erreichen, nehme ich einen Serviceaufzug und gehe durch eine versteckte Tür in einem mit Graffiti bemalten Flur. Die raffinierte, täglich wechselnde Speisekarte kombiniert Neue amerikanische Küche, wie Brot mit Apfelspeckbutter, mit Rezepten typisch skandinavischer Zubereitungsverfahren, wie beispielsweise Perlhuhn mit einer Sauce aus fermentierten Stachelbeeren.

„Es ist inspirierend, in Kopenhagen zu sein“, sagt Andrew Valenzuela, Mitbegründer von Alouette. Er steht in der offenen Küche des Lokals und stellt mein Abendessen auf einem Teller zusammen, während ich ihm dabei zusehe. Andrew war ein aufstrebender Star in Kalifornien, bevor er seinen Lebenslauf René Redzepi bei einer Buchbesprechung in San Francisco in die Hand drückte.

Er bemerkte sofort den kulturellen Unterschied, als er nach Dänemark zog. „Hier unterstützt sich die kulinarische Gemeinschaft gegenseitig. In Amerika verunglimpfen Köche andere Restaurants, weil die Atmosphäre so sehr vom Wettbewerb zerfressen ist. In Kopenhagen empfehlen sich alle gegenseitig und tauschen Ideen aus.“

Text: Gabrielle Jaffe, Fotografie: Ulf Svane

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