1001 NachtDer Zauber von Granada

Rotes Bollwerk: Festung Alhambra © Pete Seaward
Rotes Bollwerk: Festung Alhambra © Pete Seaward

Quirlige Souks und Paläste wie aus 1001 Nacht – und das mitten in Spanien. Andalusiens lebhafte Universitätsstadt war fast 800 Jahre lang Teil der islamischen Welt. Ein märchenhaftes Erbe.

Alba Aponte wetzt das Messer. Dabei sieht die Grana­dinerin eigentlich ganz umgänglich aus: Pferdeschwanz, trendige schwarze Brille, die grüne Schürze lässig über Jeans und T-Shirt geknotet. Und anders als die Krieger, die ihre Heimat jahrhundertelang heißblütig umkämpften, hat die junge Frau auch gar nicht vor, jemandem mit der schwertlangen Klinge ans Leder zu gehen. Stattdessen säbelt sie hauchdünne Scheibchen von der Keule eines stattlichen Jamón Ibérico. Kostprobe? Unbedingt! Und bitte auch noch von all den anderen Leckereien, mit denen ihr Deli „Al Sur de Granada“ bis unter die Decke vollgestopft ist: Granatäpfel, Tomaten, schwarzer Knoblauch, Craft-Biere, Wein und edles Olivenöl mit den hübschen Etiketten von „La cultivada“, das es auch in Berliner Hipster-Läden gibt. An der Theke baumeln Salamis über würzigen Käse-Laiben, von der Decke Alu-Lampen von Ikea. In der Tat: Der Mix aus Tapas-­Bar und Foodstore mit Schwerpunkt lokale Produkte könnte in jeder modernen Großstadt stehen. Doch die unverputzten Mauern in dem kleinen Eckladen, die so schön nach Industrie-­Chic aussehen, haben schon erstaunliche 1000 Jahre auf dem Buckel. Das „Al Sur“ befindet sich gleich hinter der Puerta de Elvira, dem Haupttor zu Granadas islamischer Geschichte. 

„Hier, der Bellota ist der Allerfeinste“, schwärmt Alba, während sie den Edelschinken auf einem Brett anrichtet und eine Scheibe per Säbelspitze über den Tresen balanciert. „Er stammt von glücklichen Schweinen, die den ganzen Tag nur Eicheln futtern.“ Was wohl die alten Regenten Granadas, die Mauren, zu so einem butterweichen Pata Negra gesagt hätten? Die Shop-Inhaberin lacht: „Den Schinken hätten sie vermutlich links liegen gelassen. Aber mein Messer, das hätte sie begeistert. Solche scharfen Klingen fertigten damals nur die arabischen Schwertschmiede.“

So jung und quirlig Andalusiens 240.000-Einwohner-Metropole in vielen Ecken auch wirken mag, immer ist klar: Granada ist ein Mikrokosmos aus Okzident und Orient, ein Ort mit Vergangenheit. Und was für einer! Vom Zentrum sind es nur gut 70 Kilometer bis zur Alboranischen See, jenem schmalen Streifen des westlichen Mittelmeers, über den im achten Jahrhundert Araber und Berberstämme von Nordafrika herübersegelten, um es mal so richtig krachen zu lassen. Mit Erfolg – fast 800 Jahre währte die maurische Herrschaft in Spanien und Portugal. Erst 1492 konnte Al-Andalus infolge der Reconquista christlich „rück­erobert“ werden. Auf den Islam folgte der Katholizismus, aber bis heute dringt das orientalische Erbe aus jeder Pore der Stadt. 

Man muss sich nur ein wenig durch die lebhafte Universitätsstadt mit den 60.000 Studenten treiben lassen, um es zu spüren. Zum Beispiel zur Hauptstraße Gran Via de Colón. Hier findet man Doppel-Whopper, Ugg-Boots und die Mode-Ketten Mango und Zara wie in jeder anderen spanischen Großstadt. Aber nur ein paar Meter weiter eben auch das genaue Gegenteil: Im engen Gassengewirr der Alcaicería türmen sich marokkanische Babouches aus duftendem Leder neben Körben mit Arm­reifen, Teegläsern und Tüchern aus Kaktusseide, so quietschbunt wie Regenbögen. Hier, im alten Souk der Seidenhändler, quellen die Waren geradezu aus den winzigen Läden und man hört filmreife Dialoge wie diesen: „Nur 15 Euro für diese antike Silberkette? Wollen Sie mich ruinieren?!“ Wer die Augen schließt, fühlt sich wie in einem Basar in Fès oder Marrakesch. Ein Mekka für Sightseeing-Fans, die nicht weit entfernt auch die Madraza besichtigen können, die alte maurische Universität. Die Füße streiken noch nicht? Dann fix auf zur nahen Kathedrale Santa Maria. Die wurde von Königin Isabella I. von Kastilien und König Ferdinand II. von Aragón erbaut, nachdem sie endlich das Emirat in die Knie gezwungen hatten. Und das nicht irgend­wo, sondern – tadaaa! – natürlich auf dem Fundament einer Moschee. Eine Art Gipfelkreuz im Wettkampf der Religionen. 

Übrigens gibt es seit 2003 wieder eine neue Moschee in Granada und damit die üblichen Streitigkeiten, die es auch anderswo auf der Welt gibt, wo Menschen unterschiedlichen Glaubens aufeinandertreffen. Daran hat die bewegte Vergangenheit der Metropole nichts ändern können. Das neue muslimische Gotteshaus steht im Albaicín, dem maurisch geprägten Altstadtviertel, das auf der anderen Seite der Gran Via liegt. Wer wissen will, wo das Herz der Stadt schlägt, ist hier goldrichtig. 

Labyrinth von engen Kopfsteinpflaster-Gassen windet sich einen steilen Hang hinauf. Jetzt am späten Nachmittag ist es hier eher verwunschen. Die Häuser werfen lange Schatten, Vogel­gezwitscher mischt sich mit dem Lachen von Kindern, die auf einem kleinen Platz mit Murmeln spielen. In verborgenen Gärten, den „Carmens“, wachsen Feigen- und Pflaumenbäume, deren Äste über weiß gekalkte Mauern ragen. Ein Geruch wie in der Küche von Ali Baba und seinen 40 Räubern zieht in die Nase. Vor einem Eckhaus hockt eine Frau in einer schwarzen Abaya, um sie herum Flechtkörbe mit Paprika, Kreuzkümmel, Anis, Safran und Muskatnuss. Vor dem Fischladen riecht es nicht ganz so fein, dafür ist hier endlich mal Action: Der Verkäufer ringt mit einer tellergroßen Krabbe. Der Fußmarsch ist anstrengend, und man wünscht sich wie einst ein Maultier zum Transport. Oder doch lieber ein Mountainbike?

Text: Tahir Shah, deutsche Bearbeitung: Olaf Heise, Titelbild: Pete Seaward

Die vollständige Reportage zum Stückchen Orient mitten in Spanien finden Sie in der Januar/Februar-Ausgabe des Lonely Planet Traveller.

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Das Wichtigste

Hinkommen

Iberia (iberia.com) fliegt ab Frankfurt a. M., Wien und Zü­rich jeweils über Madrid nach Granada, Vueling (vueling.com) ab Frankfurt a. M., Wien und Zürich via Barcelona. Nonstop fliegt Lufthansa (lufthansa.com) ab Frankfurt a. M. nach Malaga und easyjet (easyjet.com) ab Basel.

Herumkommen

In den oft engen und steilen Gassen der Stadt sind die Füße das beste Fortbewegungs­mittel, vor allem im Viertel Albaicín. Ansonsten fährt man zwischen den Stadtteilen bequem mit dem Bus oder dem Taxi (Busfahrten um ca. 1,30 €, Taxen ab ca. 6,50 €).

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Lonely-Planet-Reiseführer „Andalusien“ (MairDumont, 22,99 €). Infos finden Sie auch unter granadatur.com.

Nicht verpassen

Das Alhambra-Know-how

  • Wann hinfahren? Die Alhambra (alhambra-patronato.es) gehört zu den beliebtesten touristischen Attraktionen Europas, im Sommer besuchen jeden Tag gut 7000 Menschen die Festungsanlage. Von dem Zauber der Paläste und Gärten ist dann wenig zu spüren. Am wenigsten los ist in den Wintermonaten. Im Frühjahr und im Herbst sind die Temperaturen allerdings angenehmer.
  • Tickets kaufen Eintrittskarten für die Alhambra gibt’s zwar auch direkt vor Ort, sicherer ist es jedoch, die Tickets bis zu drei Monate im Voraus unter alhambra-tickets.­es oder Tel. +34-958-92 60 31 zu kaufen. Neben den Standard-Eintritts­karten mit Zugang zu den Palacios Nazaríes und zur Sommerresidenz Generalife (ab ca. 15 €) werden auch Tickets verkauft, die nur zur Besichtigung der Gärten und des Palacio de Generalife berechtigen (ab ca. 9 €). 
  • Das Timing Wer Eintrittskarten bestellt, muss festlegen, ob er die Alhambra vormittags oder am nachmittags besuchen möchte, das heißt ab 8.30 oder ab 14 Uhr. Um die Festung in Ruhe zu erkunden, sollte man mindestens drei Stunden einplanen.
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