Was ich gelernt habe ...Unterwegs mit Kind

© Svetlana Bogdanova
© Svetlana Bogdanova

Die alleinerziehende Mutter und gebürtige Russin Svetlana Bogdanova lebte mit ihrer Tochter in Berlin. Dann verkaufte sie alles und ging auf Weltreise.

 

Die Welt hat mehr zu bieten, als nur auf die Ferien zu warten. Meine Tochter besuchte die dritte Klasse, als ich mich fragte: Wann, wenn nicht jetzt soll ich mir meinen Traum von einer langen Reise mit Anna erfüllen? Das war 2015. Die Finanzkrise in Russland hatte meine Ersparnisse halbiert, privat erlebte ich eine Enttäuschung nach der anderen – für mich war der Zeitpunkt gekommen, etwas grundlegend zu ändern.

 

Schon früh habe ich gelernt, dass man nicht viel Geld zum Reisen braucht. Ich bin in einem kleinen Ort in Russland aufgewachsen und musste mir meine Abenteuer selbst organisieren. Als Studentin war ich per Anhalter unterwegs in Russland, Europa und sogar in der Mongolei, teilweise auch zu Fuß. Gefragt sind Fantasie und ganz viel Motivation. Seitdem wir auf Reisen sind, ist Anna viel eigenständiger, selbstbewusster und kreativer geworden. Sie ist jetzt 13. Beim Lernen entscheidet sie selbst, welches Fach und welches Thema sie gerade durchgehen will. Bei der jährlichen Schulprüfung schneidet sie gut ab.

 

Wir reisen nur mit Einwegtickets und Handgepäck. So bleiben wir frei, flexibel und spontan. Ich trage neben Annas Büchern meinen Laptop und zwei Kameras – die brauche ich als Dokumentarfilmerin. Anna hat ihr Malzeug dabei. Sie hält alles in ihren Zeichnungen fest. Jede von uns hat drei Kleider und maximal zwei Paar Schuhe. Wenn sich eine von uns ein neues Kleidungsstück wünscht, muss sie sich von einem alten verabschieden. So bleibt unser Haushalt überschaubar und leicht zu transportieren. Das reicht, um sich schön zu fühlen. Man kann mit sehr wenig sehr glücklich sein.

 

Für uns ist es gut, dass es Visa und Einreiseregeln gibt. So sind wir gezwungen, immer wieder unsere Komfortzone zu verlassen. Ansonsten wäre die Versuchung zu groß, sich irgendwo gemütlich anzusiedeln. Seit zwei Monaten leben wir in einem kleinen Ort im Süden Indiens. Es gefällt uns sehr, aber bald laufen unsere Visa ab und wir müssen ausreisen. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als neue, faszinierende Ecken unseres Planeten zu entdecken.

 

Unsere Welt ist viel besser, als sie dargestellt wird. Die meisten Menschen sind gut, hilfsbereit und herzlich. Anna weiß Unmengen über diverse Kulturen, Religionen, Länder und Lebensweisen. Nicht aus Büchern, sondern aus dem echten Leben, aus eigenen Erfahrungen. Wir bewegen uns meist abseits der touristischen Pfade und wohnen zum größten Teil unter Einheimischen. Wir essen in lokalen Restaurants, haben Kontakt zu Landesbewohnern und bekommen viel von deren Leben mit.

 

Eine besondere Begegnung war mit einem Inder namens Janu. Er war keinen einzigen Tag in der Schule, konnte nicht schreiben und nicht lesen. Mit zwölf hat er als Rikscha-Fahrer gearbeitet und so seine Familie ernährt. Ohne einen Führerschein, auch ohne eine eigene Rikscha. Heute leitet er eine große, angesehene Reiseagentur in Jaipur und besitzt ein Hotel. Janu hat aus einer miserablen Ausgangssituation seine Träume verwirklicht und bestätigt, dass viel mehr möglich ist, als man für denkbar hält.

 

Wenn wir länger in einem Land bleiben wollen, miete ich uns ein kleines Haus oder Apartment. In Neuseeland habe ich ein altes Auto gekauft und das war unser Zuhause für zwei Monate. Wir haben fast das ganze Land bereist und überwiegend wild gecampt, im schönsten Dschungel oder am Ozean geschlafen. In Australien und Mexiko haben wir Housesitting gemacht. Das war eine tolle Erfahrung!

 

Anna ist ein echter Freigeist geworden. Sie kennt keine Grenzen, was ihre Träume und Pläne angeht. Anna will nun selbst um die Welt segeln und ihren 18. Geburtstag im Weltall feiern. Sie hat gelernt, Verantwortung für sich zu tragen – für ihre Gesundheit, ihre Laune, ihre Zeiteinteilung, ihre Leistungen. Sie kann sich alleine beschäftigen und weiß, dass das echte Leben mehr zu bieten hat als jedes Computerspiel.

 

Mehr über Svetlana und Anna auf travel-films.com und @traveldoku.

 

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