VisbyGeschichte Erleben in Gotlands Hauptstadt

Ausblick über die roten Dächer von Visbys Altstadt © loneroc / Shutterstock
Ausblick über die roten Dächer von Visbys Altstadt © loneroc / Shutterstock

Wer sich aufmacht zur Ostseeinsel Gotland, die vor Schwedens Südostküste liegt, wird bald verstehen, warum sie eines der Lieblings-Reiseziele der Schweden selbst ist. Beim Betreten der Insel und seiner mittelalterlichen Hauptstadt Visby werden Reisende sofort ins Mittelalter zurückversetzt: Kopfsteingepflasterte Straßen, uralte Gebäude und abgenutzte Festungen verstecken sich hinter einer Sandsteinmauer, die die Stadt einst vor plündernden Heeren schützte.

Ein Schritt in die Vergangenheit

Visby ist UNESCO-Weltkulturerbe und durchdrungen von mittelalterlicher Geschichte, die bis ins frühe 13. Jahrhundert zurückreicht. Darüberhinaus ist die Stadt ein wunderbar erhaltenes Beispiel einer hanseatischen Handelsstadt: Über 200 Speicher und Kaufmannsvillen sind innerhalb ihres mittelalterlichen Festungswalls erhalten.

Die Tatsache, dass Gotland im Mittelalter als Handelsstadt in der Ostsee eine wichtige Rolle spielte, führte auch dazu, dass Gotland häufig Ziel von Überfällen und Invasionen war. Erwähnenswert ist vor allem die erfolgreiche Invasion durch den dänischen König Valdemar Atterdag im Jahr 1361, die Gotland zur dänischen Kolonie machte – und das, bis es 1645 wieder von Schweden annektiert wurde.

Obwohl Visby so winzig ist, besitzt es die größte Anzahl an erhaltenen Ruinen in ganz Nordeuropa: zehn Kirchenruinen und 27 von den ursprünglich 29 zu seinem Schutz erbauten Verteidigungsposten. Innerhalb seiner Stadtmauern befinden sich außerdem mehr Kirchen als in irgendeiner anderen schwedischen Stadt. Die Bauarbeiten an diesen Andachtsstätten wurden teilweise bereits im 12. Jahrhundert begonnen. Sie wurden von wohlhabenden Familien erbaut, die ihren Reichtum im Handel angehäuft hatten, als Visby Mitglied der Hanse geworden war. Ikonische religiöse Bauwerke wie die gotische Kathedrale St. Karins Kyrka, gegründet von Franziskanermönchen im Jahr 1233, und die St. Nicolai Kyrka, im Jahr 1230 von Dominikanermönchen erbaut, befinden sich alle in Laufweite voneinander.

Streift man durch die schmalen Gassen der Stadt, findet sich also fast an jeder Ecke eine mittelalterliche Kirchenruine. Dank der einzigartigen Atmosphäre finden heute in vielen davon Konzerte statt.

Über einen Mangel an Fundstücken aus der Wikingerzeit samt reicher Nordischer Mythologie kann sich Visby sicherlich nicht beklagen. Mehr als 31.000 archäologische Fundstücke, die auf der ganzen Insel gefunden wurden, bezeugen, dass Gotland womöglich schon vor 8.000 Jahren besiedelt war. Menschliche Skelette und Steinwerkzeuge, die sich auf die Steinzeit (ca. 1800 v. Chr.) datieren lassen, wurden rund um Stenkyrka, Lummelunda und auf der Insel Stora Karlsö gefunden. Es sind die ältesten Gebeine Gotlands, und ihre Fundstätten gehören zu den ältesten Gräbern in ganz Schweden. Das eindrucksvolle Gotlands Museum beherbergt viele dieser archäologischen Fundstücke. Hier kann man Stelen, Äxte, Dolche, Sicheln, Schwerter, Speere, Silber und Obelisken aus verschieden Epochen bestaunen: aus der Stein- und Bronzezeit, der Wikingerzeit und dem Mittelalter.

Geschichte zum Anfassen

Vergangenheit und Gegenwart gehen in Visby nahtlos ineinander über. Die Stadt wird von einer mittelalterlichen, 3,5 km langen Steinmauer umschlossen, der Ringmuren („Ringmauer“), die im 13. Jahrhundert zum Schutz vor Eindringlingen erbaut wurde. Die Mauern wurden aus Sandstein, Lehm und Mörtel erbaut und es gibt drei Stadttore sowie über fünfzig Türme. Entlang des Walles sind Schilder angebracht, die Besucher über wichtige Festigungsanlagen, Steingebäude und Kirchenruinen rund um Visby informieren.

Innerhalb der Stadtmauern gibt es noch rund 200 gut erhaltene Steingebäude, einige mit gotisch anmutenden Fassaden, andere mit spitzen, stufenförmigen Giebeln. Über die Stadt verstreut sind außerdem einige klassische Holzhütten aus dem 18. Jahrhundert mit ihren typischen grün lackierten Türen – alle verbunden durch enge gepflasterte Gassen und Brückenbögen aus Stein.

Doch Visbys bekanntestes Bauwerk ist das tiefrote, hölzerne Burmeister-Haus, das sich mitten am Donnersplatz befindet. Es wurde in der Mitte des 17. Jahrhunderts vom deutschen Kaufmann Hans Burmeister erbaut. Im Sommer dient es als Museum, in dem sich vom Barock inspirierter Dekor, historische offene Kamine aus Sandstein und Gemälde des schwedischen Künstlers Johan Bartsch bewundern lassen.

Das Visby von heute

Einheimische leben und arbeiten in den denkmalgeschützten Gebäuden Visbys, und viele Geschäfte, Läden und Restaurants verneigen sich vor der Geschichte der Stadt, indem sie mittelalterliche und nautische Details in ihre Innenausstattung einfließen lassen.

Visbys bekanntester Park, Almedalen („Ulmental“), ist nach den Ulmen benannt, die hier in den 1870er Jahren gepflanzt wurden. Heute wird der Park eng mit der schwedischen Politik in Verbindung gebracht: In Almedalen treffen sich jedes Jahr in der ersten Juliwoche hochrangige Politiker aus den schwedischen Parteien zur sogenannte Almedalsveckan („Almedal-Woche“, almedalsveckan.info), wo sie Reden halten und debattieren.

Die Strandpromenade, die kürzlich renoviert wurde, ist ein fünf Kilometer langer Fußgänger- und Fahrradweg, der entlang Visbys nördlicher Küste verläuft. Ein gemütlicher Spaziergang entlang der Promenade führt vorbei an Festungen, Türmen, Ruinen und Stränden. Gotlands 800 Kilometer lange Küste bietet herrliche Ausblicke auf die Ostsee, und so wird auch ein Spaziergang an Visbys Promenade bei Sonnenuntergang mit atemberaubenden Bildern belohnt.

Jedes Jahr im August füllen sich die Straßen von Visby mit Narren, Bauern und Märchenerzählern: Einheimische legen mittelalterliche Garderobe an und begeben sich für die beliebte Medeltidsveckan (Mittelalterwoche, medeltidsveckan.se) auf eine Reise in die Vergangenheit. Die Plätze und Gassen der Stadt verwandeln sich in pulsierende, lebhafte Marktplätze mit turnierkämpfenden Rittern und fesselnden Magiern. Die Mittelalterwoche bietet ein Programm aus musikalischer Unterhaltung, Geschichtsvorträgen und Theater und feiert damit Visbys reiche Geschichte.

Nach Gotland reisen

Gotland befindet sich 90 Kilometer vom schwedischen Festland entfernt und kann mit der Fähre oder dem Flugzeug erreicht werden. Der Flughafen liegt 4 Kilometer außerhalb der Stadt und Fluglinien wie SAS (flysas.com) fliegen ihn von Stockholm und Göteborg an. Der Flug dauert ca. 30-40 Minuten. Dreistündige Fährüberfahrten starten in Nynashamn südlich von Stockholm und in Oskarshamn in Småland und sind ein beliebtes Transportmittel nach Gotland. Falls du auf der Suche nach einer historischen Unterkunft bist: Das Clarion Hotel Wisby befindet sich in einem ehemaligen Lagerhaus aus dem 17. Jahrhundert in der Altstadt und vereint mittelalterliches Ambiente mit nordischem Design.

Veröffentlichung: Juni 2017, deutsche Bearbeitung: Sarah Uhrig / Lonely Planet Deutschland

 

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