Kalifornische Leckerbissen

© Andrew Montgomery
© Andrew Montgomery

Die Bucht von San Francisco ist nicht nur der perfekte Ort, um ein paar entspannte, sonnige Urlaubstage zu verbringen. Sie ist auch die Keimzelle des „organic food“ und damit ein kleines kulinarisches Wunderland. Willkommen in Lässig-Country.

San Francisco

Dienstags, donnerstags und samstags drängen sich eine Menge Leute am Fährterminal von San Francisco. Nicht, um irgendwohin zu schippern, sondern um die besten Spezialitäten der Region einzukaufen: Das Gebäude für den Transitverkehr beherbergt nämlich den berühmtesten Bauernmarkt der ca. 826.000 Einwohnermetropole (ferrybuildingmarketplace.com, cuesa.org). Die besten Profiköche der Stadt, Einheimische und Touristen probieren an den rund 100 Schlemmerständen weiße Nektarinen, sie laben sich an schwarzen Himbeeren, prall belegten Sandwiches, gegrillten Bio-Steaks und schauen dabei den Segelbooten zu, die unter der Bay Bridge wenden. Einige Restaurants der Stadt haben hier Essensstände, was den Bummel zu einem hochvergnüglichen Kulinarik-Erlebnis macht. Schon frühmorgens bereiten zum Beispiel die Köche aus dem Restaurant Namu Gaji (namusf.com) die marinierten koreanischen Steak-Tacos zu, die man dann mittags an den Grillständen auf dem Kai bestellen kann. An Tischen am Wasser serviert das Mijita (mijitasf.com), ein mexikanisches Restaurant in der Markthalle, Bio-Fisch-Tacos in vier knusprigen Häppchen.

Schon hat die Reise durch das kulinarische Kalifornien begonnen. Wir genießen die Gastroszene rund um die Market Street. Dann geht es weiter in die von Weiden und Weinbergen bedeckten Hügel des Sonoma Wine Country nördlich von San Francisco und gen Süden an die üppig grüne Küste im Schatten des Santa-Cruz-Gebirges.

„Einfach spitze, dieser Koriander!“ Koch Evan Rich kehrt triumphierend vom Fährterminal zurück in sein Restaurant Rich Table, das er gemeinsam mit seiner Frau führt. Wie Trophäen stellt er seine Einkäufe auf die Theke. Er schüttelt den Kopf, als könne er sein Glück kaum fassen. „Ich bin in Queens aufgewachsen und hielt die New Yorker Restaurants für das Größte“, sagt er. „Aber in San Fran­cisco wurde ich schnell eines Besseren belehrt.“ 30 Bauernmärkte allein in der Innenstadt stellen sicher, dass es Evan nie an Zutaten für seine täglich wechselnde Küche aus Produkten der Saison mangelt. Wer in San Francisco lebt, kann es sich leisten, beim Essen wählerisch zu sein. Es gibt weit über 4000 Restaurants, darunter etliche mit „grüner“ Philosophie, die die Adressen lokaler Bauernhöfe als Fußnote auf den Speisekarten aufführen. Schließlich gilt „San Fran“ als das Ökozentrum der USA. Hier trennen die Leute ihren Müll, installieren Sonnendächer und fahren Autos mit Hybridantrieb. Sogar bei Touristenattraktionen achtet man auf Nachhaltigkeit. So kann man die Gefängnisinsel Alcatraz mit einer Fähre erreichen, die per Energie aus Wind, Sonne und Dieselkraftstoff betrieben wird (alcatrazcruises.com).

Nach der geplatzten Dotcom-Blase, als die Spesenritter aus dem nahe gelegenen Silicon Valley ausblieben, hieß es in der Restaurantszene umdenken. Statt vorhersehbarer (teurer) Fusion-Küche begann man, mit den heimischen Produkten zu experimentieren. Herausgekommen ist die „New Northern California Cuisine“, lässig-sympathisch wie die Surferszene von Ocean Beach. Die frühstückt übrigens am liebsten im Outerlands (outerlandssf.com). Dort wird das selbst gebackene Sauerteigbrot mit cremigem Crescenza-Käse, Kraut, Spargel, einem Portobello-Champignon und Ei belegt. Für das i-Tüpfelchen sorgt der rauchig-süße Pimentón, eine eigene Paprikamischung aus scharfen Espel­ette-Schoten, die ein Bauer eigens für das Restaurant anbaut.

YouTube, Facebook und Twitter mögen ihren Sitz in San Francisco oder im Umkreis von 30 Meilen haben, aber die angesagtesten Köche und Barkeeper der Stadt setzen (wieder) auf arbeitsintensive Handarbeit – so wie viele es bei „ihrer Meisterin“, Alice Walters, gelernt haben. Die Pionierin der alternativen Gastronomie machte 1971 mit einigen umwelt­bewussten (Hippie-)Freunden im Universitätsstädtchen Berkeley das Chez Panisse (chezpanisse.com) auf. Sie kochten nur mit Gemüse aus den umliegenden Gärten, mit Früchten frisch vom Baum und Fisch direkt aus dem Meer. Es war der Beginn einer Bewegung, die von Nordkalifornien schließlich die ganze westliche Welt erfasste. Während Alice Walters längst eine Ikone ist, die für den Dalai Lama kocht und sich bei den Obamas um Speiseplan sowie Kräutergarten kümmert, führen ihre Jünger die Food-Revolution zeitgemäß weiter.

In der Nähe der Twitter-Zentrale erfindet Barkeeper Craig Lane in dem hochgejubelten Biorestaurant Bar Agricole (baragricole.com) einen Cocktail-Klas­siker neu: den Old Fashioned. Er hackt einen riesigen Eiswürfel von einem 150-Pfund-Block und gibt großzügig Limonen- und Orangenschalen sowie selbst gemischten aromatischen Kräuterschnaps hinzu. Statt dem üblichen Kentucky Bourbon nimmt Craig St. George Dry Rye Gin aus Kalifornien. So belebt er eine Tradition neu, die mit der Prohibition 1919 verschwand. Das junge Team betritt gern Neuland, nicht nur kulinarisch, sondern auch im Design: Hier sind die Wände aus Wellblech, Servietten aus Jeansstoff, und die Tische stehen zwischen Kräuterbeeten.

Einige 100 Meter weiter hat der Küchenchef und Besitzer des AQ (aq-sf.com) Mark Liberman ein originelles Konzept für saisonale Küche entwickelt: wie die Speisekarte aus frischen Zutaten, wechselt auch die Einrichtung. Wenn es kalt wird, bedeckt eine weiße Marmorplatte die Kupfertheke und warme Rot- und Gelbtöne erglühen. Auf den Tisch kommen innovative Kombinationen wie Lachs Candy mit grünen Tomaten, eingelegt in Honig, Dill und Molke, Roggen mit Frischkäse und in Kaffee geräucherter Lachsbauch. Zum Club der grünen Gastrolieblinge gehört auch Starbelly (starbellysf.com). Das coole Café im Regenbogenviertel Castro hat sich auf kalifornische Hausmannskost spezialisiert. Dienstagabends heißt es Picknick im Hof zwischen blühenden Kräutern. Ein ganzes Schwein vom Spieß ist der Hit bei den Gästen. Drinnen füllt sich der Gemeinschaftstisch im XL-Format mit herzhaften Gerichten: Pizza mit frischen Pilzen vom Markt, in der Höhle gereifter Gruyère, Thymian sowie Flank-Steak-­Salat. Die Kirschtomaten sind bestreut mit Gourmet-Blauschimmelkäse aus Point Reyes, einem malerischen Dorf jenseits der Golden Gate Bridge, unserem nächsten Stopp.

North Bay

Auf dem Weg stadtauswärts Richtung Norden liegen die Marin Headlands, goldfarbene Hügel, die abrupt an der Felsküste enden. Die Brise duftet nach „Yerba Buena“. Das kalifornische Heilkraut soll lebensverlängernd wirken. Unterwegs zum Küstenort Point Reyes grasen Kühe auf der sonnengegerbten Landschaft, in der es viele familien­geführte Milchhöfe gibt.

Point Reyes Farmstead (pointreyescheese.com) hat viel mehr zu bieten als seine Spezialität, den preisgekrönten Blauschimmelkäse. Milchbauer Bob Giaco­mini führt den Hof seit 50 Jahren, inzwischen mit seinen Töchtern Jill, Karen, Lynn und Diana. Ihr Käse ist geprägt von ihrer Leidenschaft für nachhaltige Landwirtschaft und die Natur Nordkaliforniens. Wer mag, kann an einer Farmführung teilnehmen. Bei der anschließenden Käseverkostung im Innenhof von „The Fork“ werden Geheimnisse gelüftet: zum Beispiel, dass die Kühe nicht nur in den Genuss von Gras, sondern auch von zerstoßenen Schalen kalifornischer Mandeln sowie Maische aus der Brauerei kommen.

Eine Kurve weiter richtet sich der Blick auf die Tomales Bay. Bei den zahlreichen Hütten handelt es sich um Seafood-Imbisse, die von den Austernbänken des schmalen Meeresarms beliefert werden. Die auf Aluminiumtellern gestapelten Meeresfrüchte – roh, gegrillt oder mit Spinat und Brotkrumen gebacken – symbolisieren Reichtum, und so taufte man das Gericht „Rockefeller-Austern“. Die Gäste nehmen ihre Teller mit nach draußen und prosten dem glänzenden Meerwasser mit prickelndem Sonoma-Wein aus dem The Marshall Store (themarshallstore.com) zu.

Der Weg von Point Reyes nach Osten Richtung Inland führt in das Weingebiet Sonoma County. Die Reihen beschnittener Rebstöcke erinnern an eine Notenpartitur. Plötzlich unterbricht am Rand des kleinen Sebastopol ein gelbes Schild die Monotonie. Darauf steht: Mom’s Apple Pie (momsapplepieusa.com). Hinter der Fliegengittertür des Hauses aus weißen Schindeln riecht es nach Zimt. „Mom“ alias Betty Carr prüft gerade, ob die obere Kruste ihrer viel gepriesenen Apfel­kuchen auch perfekt bauschig und flockig ist. Ihr Rezept? Ganz einfach: „Sie müssen jeden Tag backen.“ Betty tut das seit 60 Jahren, seit sie ihre Heimat Japan verließ, um Hauswirtschaft zu studieren und den Bauern Harry Carr heiratete. Auf Apfelkuchen kam sie 1979, als die Weinberge den kleinen Obstgarten ihrer Familie zu verdrängen schienen. Ihr Kuchen rettete den Hof und heute, mit 83, fühlt Betty sich berufen, Sonomas Apfelsorte Gravenstein zu wahren. Bei ihrer Ankunft in den USA bauten 40 lokale Züchter auf 5449 Hektar Gravenstein-Äpfel an; heute ist diese Fläche auf 850 Hektar geschrumpft. Entmutigen lässt sich die agile Seniorin nicht. „Schließlich waren meine Vor­fahren Samurai“, sagt sie.

Die Historie gibt Betty recht. Die nahe gelegene Luther Burbank Experiment Farm (lutherburbank.org) sieht eher wie ein Kräutergarten aus als wie ein Labor. Doch von 1885 bis 1926 kultivierte  der Pionier der Pflanzenzucht, Luther Burbank, hier über 800 neue Obst-, Nussbaum- und Gemüsesorten, die sich durch vollen Geschmack, Robustheit und Schönheit auszeichneten. Allein für die saftige Pflaumensorte Santa Rosa testete Burbank um die 30.000 Arten. Wie eine Sommerromanze schmeckt sie verlockend saftig und währt nur kurze Zeit. Das Holzhaus auf dem drei Hektar großen Gelände beherbergt heute ein kleines Museum. Gartenbaustudenten und Leute mit grünem Daumen nehmen gern an Führungen teil und bewundern Burbanks Kreationen, darunter ein stachelloser Kaktus und die bis heute beliebten Gartenmargeriten.

Auf biologische Vielfalt setzt auch ein unauffälliges Weingut am Russian River. Erstbesucher entdecken das Porter Creek Vineyards (portercreekvineyards.com) meist nicht und fahren vorbei. Zwischen den Rebstöcken wächst Getreide, degustiert wird in einem umgebauten Werkzeugschuppen, und Hühner laufen in der Einfahrt herum. George Davis kommt mit einem Transporter die Einfahrt hoch, aufgebracht gackernde Hennen laufen davon. Sein Sohn Alex habe auf großen Weingütern in Sonoma und Südafrika gelernt, erzählt George, aber erst an der Rhône und im Burgund erfuhr er, „Weine zu machen wie ein Bauer“. Als Alex aus Frankreich zurückkehrte, setzte er sich das Ziel, den einzigartigen Charakter des Pinot Noir aus dem Russian River Valley zu erhalten. Mit 27 Jahren wendete er als einer der ersten Winzer der Region die Methoden der biodynamischen Landwirtschaft an. Er baute Zwischenfrüchte an, um Bienen anzulocken und nährstoffreichen Mulch zu ernten. Sein Wein ist wie sein Hof – ursprünglich und unabhängig. Und unglaublich aromatisch. Im Degustierraum des Schuppens suchen Kenner nach Worten für den letzten Porter Creek Fiona Hill Pinot Noir: wild, temperamentvoll, Erdbeere, Wintermoos. Alex beschreibt ihn so: „Er schmeckt nach der Sonnenseite dieses Hangs und nach einem trockenen Frühjahr, in dem sich das Unkraut schwer ausrupfen ließ und meine Tochter Fiona sechs Jahre alt wurde.“

Im benachbarten Napa County sehen Weingüter anders aus: Durch große Tore werden Besucher zu schlossähnlichen Gebäuden geleitet, um die renommiertesten Tropfen der USA zu verkosten. Die meisten dieser Anwesen sind im Napa Valley große Wirtschaftsbetriebe, die edle Cabernet Sauvignons zu Preisen von 50 bis 360 Euro pro Flasche produzieren.

Nichts mit solch aufgemotzten Farmen hat der Rancher Ted Hall am (Cowboy-)Hut. Er und seine Familie nutzen Hunderte Hektar des besten Weinanbaugebiets des Landes wieder wie früher. Auf der Long Meadow Ranch (longmeadowranch.com) wird der Geschmack Kaliforniens bewahrt. Das Hofrestaurant setzt auf süffige, erschwingliche Tafelweine und serviert in der umgebauten Scheune der Baumschule einen großartigen Rindfleisch-Burger mit gepfeffertem Rucola und eingelegtem Blumenkohl. 

Den vollständigen Artikel mit weiteren Leckerbissen finden Sie im aktuellen Lonely Planet Traveller Magazin, März 2014.

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Text: Alison Bing, Deutsche Bearbeitung: Andrea Bierle, Titelbild: Andrew Montgomery

Das Wichtigste

Hinkommen

Ab Frankfurt a. M. geht es nonstop mit Lufthansa (lufthansa.com) nach San Francisco, mit KLM über Amsterdam (klm.com). Ab Wien via Frankfurt a. M. mit Austrian Airlines (austrian.com), ab Zürich mit Swiss (swiss.com).

Herumkommen

San Francisco hat ein Topverkehrsnetz (511.org). Mietautos sind am Airport erhältlich (ab ca. 40 €/Tag, paylesscar.com).

Buchtipps

Perfekt zur Reisevorbereitung: der Lonely-Planet-Reiseführer „Kalifornien“ mit 890 Seiten (MairDumont, 29,99 €). Eine schöne Einstimmung ist „San Francisco. Eine Stadt in Biographien“ (Merianporträts, 16,99 €).

Open-Air-Food

Street Food

Die besten Stand-Betreiber schieben ihre Wagen durch San Francisco und bieten Gourmetküche auf Rädern für unter 12 €. Beliebt sind u. a. Schweinebauch-Burger (oben) und saftige Empanadas. Mutige probieren essbare Insekten. Donnerstagabends versammeln sich die Food-Trucks an der Kreuzung der Haight und Stanyan Street. Freitags trifft sich die After-Work-Food- und Clubbing-Szene im Fort Mason (offthegridsf.com).

Poppy’s Seafood

Poppy verkauft von seinem Imbisskarren in der Half Moon Bay Krabbenrollen, Fischsuppe und gedünstete Krebse (poppyscrabshack.moonfruit.com).

Essen auf dem Feld

Der Koch Jim Denevan veranstaltet große Essen direkt beim Erzeuger. Bei diesen Events lernt man die Farmer kennen und schaut Köchen bei der Zubereitung mehrgängiger Menüs zu. Gemeinsam genießen dann alle an einer Tafel (oft im Freien) die Speisen. Pro Jahr gibt es landesweit rund 80 Termine. Rechtzeitig buchen (ca. 130 €, outstandinginthefield.com)!

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