OsteuropaGeheimtipp Tirana: Unentdeckte Perle des Balkans

Das Skanderbeg-Denkmal und die Et'hem-Bey-Moschee dominieren den zentralen Platz von Tirana - (Foto: © Andrii Lutsyk / Shutterstock)
Das Skanderbeg-Denkmal und die Et'hem-Bey-Moschee dominieren den zentralen Platz von Tirana - (Foto: © Andrii Lutsyk / Shutterstock)

Tirana? Schon dort gewesen? Nein? Kein Wunder! Die Hauptstadt Albaniens ist nämlich ein echter Geheimtipp. Wir zeigen, warum ein Besuch Tiranas sich wirklich lohnt.

Tirana liegt mit seinen etwa 550.000 Einwohnern zwischen den Stränden der Adriaküste und den Wanderwegen der sogenannten "Verwunschenen Berge", einem Teil des westlichen Balkans, der sich Richtung Kosovo zieht. Was am meisten fasziniert? Die wilde Mischung aus sozialistischem Erbe, einer beeindruckenden Slow-Food-Philosophie, alten Balkantraditionen und urbanem Lifestyle.

Im Westen Tiranas überragt der Hausberg Dajti mit einer Höhe von 1.611 Metern die Ebene. Die Stadt selbst streckt sich malerisch in eine sanft hügelige Landschaft auf etwa 110 Metern über dem Meeresspiegel. Besucher verweilen gern ein paar Tage. Die Stadt verkörpert ein quicklebendiges, jugendliches Leben und wird zugleich von der Gastfreundschaft einer alten, fast märchenhaften Welt genährt. Einige aus der sozialistischen Ära übriggebliebene betongraue Gebäude bilden die Leinwand für eine farbenfrohe, unbeschwerte Kreativität.

Altes mischt sich mit Neuem, osmanische Gebäude mit kommunistischem Erbe und zeitgenössischem Bauen. Die Pendler der Stadt werden ermutigt, in die Pedalen zu treten, statt mit dem Auto zu fahren und die städtischen Grünflächen haben ihre rechtmäßige Bedeutung inmitten der eklektischen Architektur zurückgewonnen.

Was dem städtischen Tableau seinen Reiz gibt, ist das bunte Nebeneinander von Kulturen und Epochen. Geschichtlich ist Albanien von illyrischen, römischen, osmanischen und italienischen Einflüssen geprägt. Deren ungewöhnliche Kontraste innerhalb der Stadt faszinieren die Besucher. Erinnerungen an das osmanische und kommunistische Vermächtnis sind in der Metropole ebenso verstreut wie "Farm to Table"-Restaurants und stylische Cocktail-Lounges.

Auch von oben und aus der nahen Ferne fällt die architektonische und kulturelle Melange der Stadt farbenfroh ins Auge - beispielsweise aus der Gondel des Dajti-Expresses, der Tirana mit dem Dajti verbindet. Die zentrale Synapse Tiranas ist der Skanderbeg-Platz, den eine gigantische Statue des albanischen Nationalhelden ziert. Er wird vom sehenswerten Nationalhistorischen Museum, der Et'hem-Bey-Moschee und dem Nationaltheater flankiert. Während die Seilbahn auf ihrer 15-minütigen Fahrt höher gleitet, verbirgt sich das Stadtbild hinter dichten Nadel- und Buchenwäldern, die den 293 Quadratkilometer großen Dajti Nationalpark beherrschen.

Mit der Vergangenheit in Einklang

Albaner versuchen nicht, die Geschichte zu verstecken. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Sie nehmen die Geschichte an als eine Art Ehrenabzeichen für das, was erfolgreich überwunden wurde. Fragt man die Einwohner Tiranas nach den Sehenswürdigkeiten der Stadt, heben sie nicht ohne Stolz auch die Plätze hervor, die dem früheren despotischen Regime von Enver Hoxha zuzuschreiben sind. Der Diktator und seine Partei hielten viereinhalb Jahrzehnte lang die ganze Bevölkerung Albaniens in Isolation: vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur politischen Wende Europas im Jahr 1991.

Das "Haus der Blätter" (albanisch: Shtëpia e gjetheve) ist einer der Orte, welche für die Jahrzehnte andauernde Zeit der Propaganda und Paranoia während der Diktatur stehen. Das ehemalige Hauptquartier des albanischen Geheimdienstes beherbergt die Akten oder "Blätter", die über die Einwohner des Landes gesammelt wurden. 2017 wurde das Gebäude  als Museum der Geheimen Überwachung eröffnet. Die Räume und ihr früherer Zweck sind eine Erinnerung daran, wie brutal eine isolierte und von außen unkontrollierte Staatsmacht mit ihrer Bevölkerung umgehen kann. 

Zwei weitere Museen, Bunk'Art und Bunk'Art 2, beleuchten die Paranoia aus einer anderen Richtung. Wer durch Albanien reist, wird sie voller Verwunderung wahrnehmen: Über 170.000 pilzförmige Bunkern sprenkeln das Land wie überdimensionierte Salzkörner, die über ein Tischtuch verstreut sind. Sie sollten einst die Albaner vor ausländischen Invasionen schützen. Manche stehen mitten im Gebirge, andere an weitläufigen Stränden oder inmitten von Ortschaften.

Das erste Bunk'Art Museum wurde 2014 eröffnet. Es befindet sich im Atombunker des ehemaligen Diktators Hoxha und bietet Besuchern Zugang zu seinen Wohnräumen sowie mit historischen Exponaten umfunktionierten Ausstellungsräumen. Bunk'Art 2 sollte einst den damaligen Innenminister im Falle eines nuklearen Angriffs schützen. Das Museum verfügt über 24 Räume und beherbergt heute Kunstinstallationen, die dem Zeitraum von 1913 bis 1991 gewidmet sind.

From Blloku with Love

Tiranas trendiges Viertel Blloku liegt nur zehn Minuten südlich des Skanderbeg-Platzes auf der anderen Seite des Flusses Lana. Es bietet ein weiteres Beispiel, wie innovativ und unbeschwert die Vergangenheit aufgearbeitet wurde. Unter Diktator Hoxha war es ausschließlich für die korrupten kommunistischen Chefs des Regimes reserviert und für die normalen Bürger tabu. Heute durchzieht das Viertel ein lebendiges Straßennetz mit trendigen Restaurants, chilligen Lounges und Designerboutiquen.

Bei Sonnenuntergang sitzt es sich gut mit einem Cocktail in der Hand auf dem Dach XVI im 16. Stock des Sky Towers. Das Panorama ist beeindruckend und das Ambiente entspannt. Die Station für den nächsten Drink liegt wieder unten im Straßengewirr Bllokus und heißt Radio. In dem entspannten Heimathafen für trendige 30- bis 40-Jährige teilt sich eine ansehnliche Auswahl an Whiskys den Platz mit antiken Radios. Live-Musik und DJs sind dort keine Seltenheit.

"In gewisser Weise ist Blloku ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Stadt völlig neu definiert hat", betont Gent Mati, der schon sein ganzes Leben lang in Tirana lebt. Mati ist der Besitzer von Outdoor Albania, die Abenteuerreisen quer durch das Balkanland anbieten. "Die Bürger haben diesen städtischen Raum vollkommen neu erschaffen", sagt er, "indem sie etwas, das vollkommen isoliert war, mit neuem Leben und kreativen Ideen ausgefüllt haben."

Slow-Food und Regionalität im eigenen Rhythmus

In den Jahren seit der kommunistischen Ära ist die Philosophie der regionalen Versorgung zum zentralen Bestandteil der albanischen Selbstdefinition geworden. Die Nachfrage nach frischen, auf dem Land angebauten Lebensmitteln hat im Rahmen der internationalen Slow-Food-Bewegung auch in Albanien Gestalt angenommen. Was früher aus der Not heraus praktiziert wurde, wird heute mit Stolz und Selbstverständnis als nationales Erbe angesehen. Aus dem Respekt vor den lokalen Traditionen und Produkten ist ein nationales Credo entstanden. Es erstreckt sich auf das menschliche Tempo des Lebens im Allgemeinen.

"50 Jahre Isolation haben zur Erhaltung von albanischem Saatgut und zur heimischen Artenvielfalt beigetragen. Es gab keine ausländischen Einflüsse auf die Nahrungsmittelproduktion", erklärt Katia Zene, die Koordinatorin der Slow Food Chefs Alliance in Albanien. Wer kleine Nahrungsmittelproduzenten unterstütze, entferne sich von der Industrialisierung hin zu gesunden Entscheidungen: "Die albanische Küche ist in der Regel eine langsame. Sie passt sehr gut zur Philosophie und den Prinzipien von Slow Food."

Wer die echte albanische Küche erleben möchte, fährt die elf Kilometer vom Zentrum Tiranas zur Uka Farm. Dort stammen alle Gerichte aus Zutaten, die auf dem zwei Hektar großen Gelände gemeinsam mit Oliven, Obstbäumen und Weinreben wachsen. Unser Tipp: Hühnchen mit Polenta, saisonalem Gemüse wie Zucchini und Auberginen und Salat mit frischen Tomaten und Gurken. Dazu passt bestens eine Flasche von Uka's rotem Chimaera - einer Mischung aus Merlot, Cabernet Sauvignon und dem albanischen Kallmet. Er ist einen Toast wert - auf die geheime Perle Tirana.

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Deutsche Fassung: Ines Wagner
Original-Artikel: Alex Crevar

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